Entscheidungen (Jake Gaston)

  • Nach außen gab er sich stets unnahbar und ruhig, fast wie ein Vulkanier. Selbst Ausbrüche von Überraschung, Empörung oder sogar Wut waren häufig sorgsam kalkuliert und nicht die spontanen Gefühlsaufwallungen als die er sie darstellte.
    Doch jetzt musste er eine Entscheidung treffen die ihm schwerer fiel als er gedacht hätte. Er streifte durch die Gänge „seines“ Raumschiffes. Vereinzelte Crewmitglieder nahmen Haltung an und grüßten ihn, er nickte nur zurück.
    Solange sie an DS12 angedockt waren, gab es nur eine dreiköpfige Bereitschaftscrew auf der Brücke. Sie sprangen alle aus ihren Sitzen auf als überraschend ihr Captain das Kommandozentrum betrat, doch er winkte nur ab und die Arbeit ging weiter.
    Jake streichelte die Konsolen der Brücke. Er tippte auf einer Konsole und transferierte die Außenansicht der Infinity, aufgenommen von DS12, auf den Hauptbildschirm.
    Er dachte zurück an die Zeit in der Raumwerft. Wie viele Captains haben die Chance beim Bau ihres Raumschiffes mitzuwirken? Wie viele können über die Ausstattung von Laboren, Sensoren und Waffen mitentscheiden? Konnte er sein Schiff aufgeben, sein Baby einem anderen übergeben der sie vielleicht nicht zu schätzen wusste. Aber es war eben nicht sein Raumschiff. Es war ein Fahrzeug, ein Vehikel und es gehörte der Sternenflotte.
    Würde er auf die Forrest versetzt, wäre das so etwas wie eine Beförderung, eine Ehre, eine Anerkennung seiner Leistungen. Konnte er solch ein Angebot überhaupt ausschlagen? Er tippte erneut auf der Konsole und der Hauptbildschirm zeigte nun das mächtige Kriegsschiff, dessen Kommando man ihm angeboten hatte.
    Er wollte nie ein Soldat sein, nie ein Krieger, immer nur ein Wissenschaftler und doch hatten die Launen des Zufalls ihn immer wieder in diese Rolle gedrängt. Als er nach der Akademie auf der ersten, alten Infinity an einer scheinbar ungefährlichen Forschungsmission teilnahm, musste er um sein Überleben und das seiner Kameraden kämpfen.
    Später auf der Long Shot kämpfte er gegen die Klingonen. Und er hasste es. Und er war gut darin. Und er hasste es wie gut er darin war. Als er eine Beförderung ausschlug, zwei Jahre an Bord der schrottreifen Baltic zähe Kolonialaufgaben unterstützte und sich erst befördern ließ als er erneut Forschen konnte, holte ihn der Zufall wieder ein. Wer hätte denn ahnen können, dass die USS Sievert beschädigt würde, dass er der Captain sein musste, dass er erneut gegen Klingonen kämpfen würde um seine Mannschaft zu retten?
    Auf der Forrest würden Kampfeinsätze noch öfter, noch wahrscheinlicher. Aber seit er bei der 18. Flotte war, hatte er nicht mehr Forschen können und die Chancen kaum besser.
    In diesem Moment wünschte er sich, Amanda könnte wieder bei ihm sein und ihm Ratschläge geben. Jake ließ ich in den Stuhl des Captains fallen und er fühlte sich als könnte er hier das ganze Schiff in sich aufnehmen. Er hatte Amanda für diesen Stuhl verlassen. Jetzt sollte er ihn für die Forrest aufgeben?
    In einem Paralleluniversum, so dachte er, steht in diesem Moment Professor Jake Gaston in einem Vorlesungssaal. Er hält eine Vorlesung über vergleichende Prä-Warp-Klassifikation, ein Thema über das er schon vor Jahren seine Doktorarbeit geschrieben hat. Nach dem Unterricht geht er nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern, spricht über seine Zeit bei der Sternenflotte und fragt sich gelegentlich wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er damals das Kommando über die USS Infinity A doch angenommen hätte.


    Der Jake dieses Universums trottete erneut von der Brücke durch sein Schiff. Auf dem Mannschaftsdeck rannte ihn beinahe jemand um: „Passen sie doch auf wo sie hinlaufen!“
    Eine junge Trill in Sportkleidung mit Schweiß auf der Stirn. Die kleine Koll. „Oh Verzeihung Captain ich wusste nicht, dass sie es sind.“
    „Schon gut Lieutenant, es war meine Schuld. Ich war in Gedanken und habe nicht auf sie geachtet.“ Eigentlich war es ihre Schuld, da sie streng genommen nicht in den Gängen laufen sollte. Aber Jake fand, das sei eine Regel wie aus der Schule. Offenbar hatte sie mal wieder kein freies Holodeck erwischt und lief nun in endlosen Runden auf diesem Deck im Kreis.
    „Einen Penny für ihre Gedanken.“ Sagte sie ungewohnt keck, sie konnte sehen, dass ihn etwas plagte, jeder hätte es jetzt gesehen.
    „Ich versuche, mich zwischen der Unendlichkeit und einem Wald zu entscheiden.“
    Taryn sah ihn kurz unsicher an und sagte dann: „Bei der Entscheidung sollten sie den Wald nehmen. In Unendlichkeiten verliert man sich, kommt vom hundertsten ins tausendste. Wälder haben klare Regeln, Grenzen. Außer natürlich die Wälder von Timpokus III, die bedecken den Planten und sind voller Anomalien, aber normalerweise sind Wälder ziemlich verlässliches Terrain. Sie scheinen unendlich, sind es aber nicht. Man weiß welche Tiere dort wohnen, welche Gefahren es gibt. Sie müssen vorher überlegen ob sie Waffen mitnehmen oder nicht. Kommt darauf an ob sie sich bei einem Waldspaziergang entspannen wollen oder ob sie trainieren möchten. Heruntergebrochen ist es die Entscheidung zwischen Picknickkorb und Machete. Für beides gibt es tolle Programme. Ich persönlich würde ein Programm mit Machete immer vorziehen aber ich kann mich am beste entspannen wenn ich mich bewege. Sie sprechen doch von einem Holoprogramm, richtig?“
    Jake schmunzelte und klopfte der Trill gutmütig auf die Schulter: „Machen sie weiter, Taryn.“
    Sie salutierte ironisch und überenthusiastisch: „Jawohl, Sir!“ und rannte erneut los.
    Der Captain schlenderte weiter und nach ein paar Minuten kam ihm Taryn erneut entgegen auf ihren Runden um das Deck: „Wissen sie was mir eingefallen ist, Sir? Unendlichkeit heißt Infinity und Wald heißt Forest. Wenn sie sich entscheiden müssen welches Schiff sie wählen, für einen Einsatz oder für was auch immer. Denken sie immer daran, dass wir unser Leben der Sternenflotte und der Föderation gewidmet haben. Machen sie was das Beste für die ist. Da machen sie nie etwas falsch.“
    Und dann raste sie wieder los.
    Ach die kleine Koll. Sie hatte Recht.

    Dann, von Kriegen erlöst, wird sanfter die störrige Menschheit; (...)
    mit Stahl und klemmenden Riegeln geschlossen
    Bleiben die grausigen Tore des Kriegs; des ruchlosen Wahnsinns
    Dämon, rücklings gefesselt mit hundert ehernen Banden,
    hockt über grausen Waffen und knirscht mit blutigem Munde.
    - Vergil, Aeneis 1. Buch